Internationales Erbrecht: Estland
Kommt es zu einem Erbfall, muss in Estland stets ein Notar aktiv werden, da erbrechtliche Verfahren in dem baltischen Staat ausschließlich durch Notare abgewickelt werden können. Unabhängig davon, ob man seine Erbschaft annehmen will oder eine Erbausschlagung erklären möchte, ist ein Notar stets in den Erbfall involviert und in Estland vollkommen unverzichtbar, wenn es um erbrechtliche Angelegenheiten geht. Ein internationales Familien- und Erbrecht tritt hierbei nicht ein, sondern das Landesrecht Estlands.
Ein Erbe, Vermächtnisnehmer, Gläubiger des Erblassers oder eine andere Person, die Ansprüche auf Teile des Nachlasses erhebt, muss einen Antrag zur Einleitung des erbrechtlichen Verfahrens stellen, damit diese beginnt. Hierbei muss es sich um einen notariell beurkundeten Antrag handeln, der bei einem Notar eingereicht wird. Demnach ist ein Notar für Erbfälle in Estland stets erforderlich, selbst für die Einleitung des Nachlassverfahrens muss nach estnischem Recht ein Notar bemüht werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Gesetzgebung Estlands maßgeblich von der in Deutschland, wo das Erbe grundsätzlich automatisch in den Besitz der Erben über geht.
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Gesetzliche Erbfolge in Estland
Der estnische Gesetzgeber definiert die gesetzliche Erbfolge ausführlich und gibt einige Grundsätze vor, sodass auch bei Nicht-Vorliegen eines Testaments keine Unklarheiten auftreten dürften. Da die gesetzliche Erbfolge Estlands auf einem Ordnungssystem basiert, dem wiederum das Verwandtenerbrecht zugrundeliegt, erben ausschließlich die nächsten Angehörigen des verstorbenen Erblassers, falls keine letztwillige Verfügung vorliegt.
Hinterlässt der verstorbene Erblasser einen Ehegatten, sowie Kinder, erben die Abkömmlinge und der überlebende Gatte zu gleichen Teilen, wobei dem Ehegatten mindestens ein Viertel des Nachlasses zusteht. Falls der Verstorbene keine Abkömmlinge (Erben der ersten Ordnung) hinterlassen hat, werden nach estnischem Erbrecht die Erben der zweiten Ordnung am Nachlass beteiligt. Hierbei handelt es sich um die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Neben den Erben der zweiten Ordnung erbt der überlebende Ehegatte die Hälfte des Nachlasses. Für den Fall, dass weder Erben der ersten, noch der zweiten Ordnung existieren, gilt der überlebende Ehegatte der gesetzlichen Erbfolge in Estland zufolge als Alleinerbe.
Die gesetzliche Erbfolge Estlands beinhaltet selbstverständlich auch Regelungen für den Fall, dass ein unverheirateter Erblasser verstirbt. Falls es zum Zeitpunkt des Todes keinen Ehegatten gab und der Verstorbene Kinder hinterlassen hat, erben diese zu gleichen Teilen. Existieren jedoch keine Abkömmlinge und auch kein überlebender Ehegatte, erben die Eltern des Erblassers, sowie deren Abkömmlinge. Falls diese bereits vorverstorben sind, werden Mitglieder der nächsthöheren Ordnung am Nachlass beteiligt. Hierbei handelt es sich dann um die Großeltern und ihre Abkömmlinge. Hinterlässt der Erblasser keine Verwandten, die den zuvor genannten Ordnungen angehören, fällt das Erbe an den estnischen Staat.
Testament im estnischen Erbrecht
Esten müssen die gesetzliche Erbfolge natürlich nicht einfach so hinnehmen, sondern können zu Lebzeiten eine gewillkürte Erbfolge definieren, indem sie ein Testament errichten. Auf diese Art und Weise besteht die Möglichkeit, selbst festzulegen, welche Personen in welchem Umfang am Nachlass beteiligt werden. Dank der allgemeinen Testierfreiheit in Estland kann man im Rahmen des Testaments selbstverständlich nicht nur Verwandte als Erben einsetzen, sondern jede Person.
Im Zuge dessen müssen künftige Erblasser jedoch berücksichtigen, dass das estnische Erbrecht auch ein sogenanntes Pflichtteilserbrecht vorsieht. Wird ein naher Verwandter testamentarisch enterbt, schützt der Gesetzgeber diesen durch das Pflichtteilsrecht davor, dass er vollkommen leer ausgeht. Infolgedessen wird die Testierfreiheit in Estland zugunsten der nächsten Angehörigen eingeschränkt, wie dies auch in vielen anderen Staaten der Fall ist. Der Pflichtteil beläuft sich nach estnischem Erbrecht auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der dem betreffenden Erben ansonsten zugestanden hätte.
Der pflichtteilsberechtigte Personenkreis besteht in Estland aus dem überlebenden Ehegatten, sowie den Abkömmlingen des verstorbenen Erblassers. War der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes verheiratet, steht dem Ehegatten ein Pflichtteil zu, ansonsten können ausschließlich die Abkömmlinge Pflichtteilsansprüche geltend machen. Falls die Kinder des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits vorverstorben sind, steht der Pflichtteil deren Abkömmlingen, also in der Regel den Enkelkindern des Erblassers, zu. Existieren gar keine Abkömmlinge, gliedert das estnische Erbrecht die Eltern des Erblassers in den pflichtteilsberechtigten Personenkreis ein.
Künftige Erblasser sollten bei der Errichtung ihres Testaments aber selbstverständlich nicht nur das in Estland geltende Pflichtteilsrecht berücksichtigen, sondern vor allem auf die Rechtskräftigkeit ihrer letztwilligen Verfügung achten. Dies ist insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass diesbezüglich in Estland strenge Formvorschriften gelten, von zentraler Bedeutung, da das Testament im Ernstfall ansonsten mitunter keine Anwendung finden kann, weil es dem estnischen Erbrecht nicht entspricht.
Das notariell beurkundete Testament ist eine der bekannteren Varianten des estnischen Testaments und wird, wie der Name bereits verrät, von einem Notar öffentlich beurkundet. Bei der Errichtung eines solchen Testaments kann der Testierende ein Testament vorlegen oder alternativ auch Angaben machen, anhand derer der Notar eine entsprechende Verfügung von Todes wegen erstellt. Unabhängig von der gewählten Variante muss der künftige Erblasser sein Testament in der Gegenwart des Notars unterzeichnen, damit dieses rechtskräftig wird. Bei dem hinterlegten Testament handelt es sich um eine Sonderform des notariellen Testaments, denn dieses wird bei dem Notar in einem versiegelten Umschlag hinterlegt.
Das estnische Erbrecht kennt darüber hinaus auch privatschriftliche Testamente. Hierbei wird zwischen einem eigenhändigen Testament und dem Testament unterschieden, das in Anwesenheit von zwei Zeugen errichtet wird. Bei beiden Varianten muss der Testator unbedingt bedenken, dass diese Verfügungen von Todes wegen nach sechs Monaten ihre Wirksamkeit verlieren. Lebt der Testator ein halbes Jahr nach Errichtung des Testaments, verliert das privatschriftliche Testament seine Rechtskräftigkeit, sodass eine neue letztwillige Verfügung erstellt werden muss. Für notarielle Testamente gilt diese Frist nicht, da diese unbegrenzt gültig sind.
Erbschaftssteuer in Estland
Das estnische Erbrecht zeichnet sich durch einige Eigenheiten aus und unterscheidet sich demnach mitunter maßgeblich von der deutschen Gesetzgebung für erbrechtliche Angelegenheiten. Gleiches gilt auch in Sachen Erbschaftssteuer, denn während Erwerbe von Todes wegen in Deutschland der Steuerpflicht unterliegen und der Fiskus so einen Anteil vom Nachlass erhält, sofern nicht gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, ist dies in Estland nicht der Fall.
Der estnische Gesetzgeber kennt keine Erbschaftssteuer, sodass Erwerbe von Todes wegen in Estland steuerfrei sind. Aus diesem Grund existieren auch keine entsprechenden Freibeträge oder Erbschaftssteuersätze. Auch die Schenkungssteuer ist den Esten unbekannt, sodass erhebliche Differenzen zwischen dem deutschen und estnischen Steuerrecht bestehen.
Nichtsdestotrotz müssen Erben ein paar Dinge beachten, um am Ende nicht doch Steuern auf ihre Erbschaft zahlen zu müssen. Wie bereits erwähnt, gibt es in Estland zwar keine Erbschaftssteuer, aber geerbte Immobilien können dennoch unter gewissen Umständen der estnischen Steuerpflicht unterliegen. Wer eine Immobilie geerbt hat und diese anschließend verkauft, muss für den Verkaufserlös Einkommenssteuer an den estnischen Fiskus zahlen.
– Grundsätzliches zum internationalen Familien- und Erbrecht
– Internationales Erbrecht (alle Länder in der Übersicht)